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War der Arm, den ihr Grünenfelder im Regen um ihre Schulter gelegt hatte, der Druck, mit dem er sie an sich drückte, nur eine spontane Geste? Fühlte sie sich bedrängt, oder angezogen? Das Kompliment für ihr Parfüm, und das vielsagende Augenzwinkern? Wie soll sie sich verhalten, wenn sie nochmals in eine solche Situation kommt? Würde sie gerne nochmals in eine solche Situation kommen oder wurde eine Grenze überschritten, die sie nicht überschritten haben will?

Fragen, die sie seit Tagen beschäftigen. In fünfzehn Minuten steht der nächste Termin mit Schläpfer an, die Besprechung ihrer Analysen der Klageantwort und der Widerklage. Eine Stunde hat er dafür eingeräumt. Sie hat immer noch keinen Plan, fühlt sich unsicher. Wie soll sie auf Schläpfer zugehen? Vorbereitet hat sie sich sehr umfassend. Sie will ihren Job einfach nur gut machen. Eliane schließt die beiden Ordner mit der Klageschrift und der Klageantwort, nimmt ihre Notizen und ihren Block und türmt alles auf ihrem Pult auf. Bereit, sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Noch bleiben zehn Minuten bis zum Termin um 10.00 Uhr. Ihr Blick schwenkt von der kleinen Digitaluhr auf ihrem Pult zu den zwei Äpfeln und der Banane, die sie sich als Zwischenverpflegung mitgebracht hat. Intuitiv greift sich Eliane einen der frischen roten Äpfel und beißt herzhaft zu. War es nur Nervosität, dass sie bisher kein Hungergefühl bemerkt hatte? Ohne Frühstück ist sie heute Morgen eine Stunde früher als üblich zur Arbeit gefahren. Sie wollte sich gründlich auf den Termin vorbereiten, in Ruhe nochmals alles durchdenken. Eliane lehnt sich weit zurück in den Bürostuhl und kaut nervös auf ihrem Apfel herum. Ach, was soll´s, denkt sie, genügend Zeit bis zum Termin bleibt auch noch und die paar Minuten helfen mir und meinem Magen dabei, sich etwas zu beruhigen.

Es ist 9.58 Uhr. Eliane Rausch erhebt sich von ihrem Stuhl, packt beide Ordner unter ihren Arm und begibt sich entlang des langen Ganges zu Schläpfers Büro. In ihrer Fantasie sieht sie Schläpfer schon missmutig und gereizt an seinem Besprechungstisch sitzen. Eliane erreicht mit wenigen Schritten sein Büro. Sie klopft zaghaft an die alte schwere Holztüre und tritt, ohne auf ein „Herein“ zu warten, ein.
„Hallo Frau Rausch, setzen Sie sich hier an den Tisch.“
Die Begrüßung fällt demonstrativ knapp aus. Eine schludrige Handbewegung deutet den Platz an, den er ihr zuweist. Ohne abzusetzen, spricht Schläpfer weiter, bevor sich Eliane richtig gesetzt hat. 
„Ich habe mir Ihre bisherigen Kommentare zu verschiedenen Fragestellungen vorgängig schon mal angesehen. Ob unser lieber Herr Bezirksrichter, Grünenfelder mit seiner ‚Culpa in contrahendo‘ richtig liegt, wage ich langsam zu bezweifeln.“ Eliane hat noch kein Wort gesagt. 

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